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Otto Rudolf Salvisberg
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Auszug aus "Zeitfragen der Architektur" von Prof. O.R. Salvisberg, erschienen in der Festschrift "Die ETH dem SIA zur Jahrhundertfeier", Zürich 1937

Zu allen Zeiten waren die Bauten einer Epoche Niederschlag ihres Kulturlebens. Der Kunsthistoriker späterer Jahrhunderte wird vielleicht die Zerrissenheit und Stillosigkeit unserer Zeit einmal als unvermeidlichen Ausdruck einer zersetzten Kultur und zerrütteten Weltwirtschaft feststellen.

Einem rein äußerlichen Stilgemisch vergangener Jahrzehnte folgte auf Irrwegen literarischer Zersetzung eine Verwirrung der Grundbegriffe über "Neues Bauen".

Die riesige Entwicklung der Industrie ermöglichte besonders im Profanbau eine gründliche Abkehr von den bisherigen Baumethoden. Eisenbeton und Stahlkonstruktionen wurden zum formbildenden Element, der Eisenträger versteckte sich nicht mehr schamhaft hinter vorgetäuschten Rabitzgewölbe. Jeder äußere Dekor fällt fort. Dem schweren Stein- und Mauerwerksbau werden leichte Stahlskelettbauten gegenübergestellt, deren struktiver Aufbau schon nach außen hin leicht erkennbar ist .

Der Sieg des neuen Bauens schien nah!

Wie aber in jeder Reaktion, so zeigten sich auch hier im neuen Geist Extreme, die sich in übertriebenen Glasfronten, in falscher Übertragung industrieller Ausdrucksformen auf den Profanbau, sogar auf repräsentative städtische Bauten und nicht zuletzt auf Kirchen äußerte. Diese Entwicklung wirkte suggestiv. Eine gewisse Beklemmung, die Angst, dieser Erneuerung nicht folgen zu können, unzeitgemäß zu erscheinen, brachte ein Heer von Mitläufern, die in der Wandlung nur eine modische Äußerlichkeit erblickten und die von heute auf morgen den ihnen geläufigen Formenschatz vergangener Zeiten durch diese "neue Mode" ablösten.

In Bild und Schrift wurde nahezu kritiklos jede neue Geste verherrlicht. So entstanden Bauten, die ebenso wenig wie jene der vorangegangenen Verfallsperiode aus lebenswahrem Programm, auf klarer Grundlage und mit sauberer Baugesinnung entwickelt wurden.

Die betont hervorgehobene, funktionell sein wollende Form wird zum Zerrbild dessen, was sie sein wollte. Sensationelle Machwerke werden mit Schlagworten verherrlicht. Solche Bauten lassen die Beherrschung neuer Bauweisen, neuer Techniken und ihrer sinngemäßen Verwendung vermissen. Ihr abstraktes Wesen und die Tatsache, dass sie nur am Reißbrett entstanden, zeigte im besten Fall einen Sieg des Verstandes über das Gefühl. Was aber verhängnisvoller war: durch modisch motivierte, neue, grundsätzlich gute, aber missverstandene Baumethoden, ging der Sinn für Klarheit der Baumassen, für Maßstab, Rhythmus, Proportionen verloren.

Die Vorzüge des flachen Daches wurden als willkommene Verblendung der kompliziert verschmitzten, ineinander verschobenen Baukörper benutzt.

Großbauten wurden - wie auch kleinste Häuschen - auch dann "aufgelockert", wenn eine solche Gliederung kostspielige, praktische und ästhetische Nachteile zur Folge hatte. Die Bauelemente und ihre Anwendung wurden international - universell.

Das neue Wohnhaus in London, Shanghai, New York oder Arosa ist gleich geartet. Zu der ästhetischen Verflachung gesellte sich vielfach eine Unkenntnis in der Verwendung neuer Baustoffe. Der heiße Kampf entgegen eingestellter Bauindustrien setzte ein. Auffallend war neben der Verwendung neuer Techniken die Abkehr von natürlichen Baustoffen.

Man bewunderte wohl die von der Sonne dunkel gebräunten Blockhäuser unserer Bergtäler, man freute sich an der Patina jurassischer Kalksteinbauten, am Sgraffito oder anderen Putztechniken.

Was aber dieser neuen Entwicklung fehlte, war das taktvolle Einordnen der Bauten in ihre Umgebung, war das Feingefühl für Struktur und Farbe, für Sauberkeit und Pflege des Details und werkgerechter Technik.

Der Werdegang eines jeden Baustiles fordert Zeit. Er kann nicht künstlich "gemacht" werden.

ie letzte Erneuerung im Bauen ist viel zu rasch erfolgt. So sind auch ihre Schwächen vielleicht als wichtiger Übergang zur Läuterung zu werten. Es erscheint deshalb angebracht, die Fragen der heutigen Architektur im allgemeinen zu erörtern.

Was ist Baukunst ?

Vom einfachsten Möbel bis zur Stadtplanung forderte sie zu allen Zeiten größtes, vielseitiges Können. Bauen heißt von jeher, einzelne Elemente zu einem Ganzen zusammenfügen, "Baukunst" das Können, nach erlernbaren technischen Begriffen und Methoden, einzelne Bauelemente planmäßig zu einer harmonischen, künstlerisch gestalteten Einheit zusammenzufügen.

Es gibt "Baumeister", die über dieses Können in hohem Maß verfügen, es gibt Architekten, die weder den Plan noch das einwandfreie Zusammenfügen der Baustoffe beherrschen. Ohne veredelnden Sinn, der über den Daseinskampf hinausgeht, würde sich der Mensch allgemein mit der "Sachlichkeit" des Bauens, dem sinngemäßen Zusammenfügen nach rationalen Gesichtspunkten begnügen.

Über dem instinktiven Selbsterhaltungstrieb des Tieres ist aber der Mensch in geringerem oder höherem Maß von einem Bedürfnis erfüllt, das durch seine seelisch bewegten Gefühle nach einem Ausdruck drängt. Er liebt die Natur, der er angehört, die Pflanze, das Tier. Er genießt Werke seiner Mitmenschen in Form von Kunst, Musik, Literatur. Er zeigt Gefühl für den Rhythmus, die Bewegung, er wird erfasst vom Überirdischen, Göttlichen. Ohne höheres seelisches Gefühl, ohne jenes Bedürfnis würde sich der Mensch im Bauen mit der "Sachlichkeit" begnügen.

So aber fordert er vom Bauwerk eine Ausdrucksform, eine Gestaltung, die seinem Zeitgeist entspricht.

Architektur ist nicht allein ein rechnerisches Ergebnis mathematischer Ordnung, noch viel weniger äußerliches Dekorationsmittel. Sie fordert gleich anderen Künsten grundlegende Systematik, Sauberkeit in der werkgerechten Verwendung ihrer Ausdrucksmittel. Sie verlangt Auseinandersetzung mit dem Innen- und Außenraum. Sie erfasst das ganze Bauwerk, nicht nur seine inneren und äußeren Oberflächen.

Architektur schafft Ordnung im Baukörper wie im Raum. Sie vereinigt Zweckbestimmung, Konstruktion und Formausdruck zur Synthese. Die wesensverschiedenen Aufgaben, die dem Architekten gestellt werden, fordern einen dementsprechenden individuellen Ausdruck. Es kann als ein wesentliches Verdienst neuer Baugestaltung bezeichnet werden, wenn nach einer Verfallszeit verlogene Dekorationsmittel abgelehnt wurden und die Sauberkeit eines struktiven Aufbaues, einer werkgerechten Einordnung der Konstruktionselemente - im Raum wie in der äußeren Form - zur Geltung gebracht wird.

Keinesfalls darf jedoch die Konstruktion zum Selbstzweck erhoben, dem Baugedanken übergeordnet werden.

Als Dienerin mit Verstand bildete sie ebenso im Steinbau der griechischen Antike wie im Beton-, Stahl- oder Glasbau neuer Skelettbauten das rationale, in feststellbaren Zahlenverhältnissen ausdrückbare Hilfsmittel.

Der Verstand als Ordner jedes sinnvollen menschlichen Tuns und Lassens, schafft jedoch allein keinen höheren geistigen, architektonischen Ausdruck.

Eine jede Bauaufgabe erfordert klares, architektonisches Erkennen, Fühlen und Wollen, wenn das Bauwerk Sinn, Idee, Zweck, Mittel und Form zu einheitlich harmonischem Ausdruck vereinigen soll.

Zum Bau der Maschine sind in erster Linie Verstand und technische Kenntnisse erforderlich. Der Architekt hat aber vor allem die Lösung jener Probleme zu bewältigen, die jede Kunst ihrem Sinn gemäß vom Schaffenden fordert. Sie verlangt Sauberkeit der Baugesinnung, Kompromisslosigkeit, Takt, Gefühl, ideenvolle, blühende Vorstellungskraft, Intuition, ein hohes Maß an humanistischer Bildung und Kultur (im guten Sinn), Menschenliebe und Religion. Denn der Architekt soll Ordner, Organisator, Wirtschaftler, Techniker und Künstler in einer Person sein.

Jene Zeiten, in denen der Architekt, losgelöst von allen Lebensvorgängen eines Staatswesens, nach äußerlich formalen Gesichtspunkten seiner Vorliebe für den Formenschatz vergangener Epochen nachging und sich dadurch in schärfsten Gegensatz mit der Gegenwart stellte, sind vorbei.

Vom Städtebauer werden Lebensraum schaffende Ideen und mehr denn je bewusste Planwirtschaft und Wirtschaftsbau gefordert.

Nutzflächenplan und Verkehrsplan verlangen zukunftsgerichtete Ordnung. Straßen und Plätze dürfen nicht nur dem Moloch "Verkehr" geopfert werden. Sie bilden Glieder eines lebendigen, stetig wachsenden Körpers, der Stadt, deren Sicherheit sich nur durch bewusste Pflege entwickeln kann. Dem Architekten als Stadtbaukünstler erwächst hieraus die bedeutsamste Aufgabe, in engster Fühlungnahme mit der politischen Führung, dem Willen eines Volksganzen einen bleibenden Formausdruck, der Stadt ein Gesicht zu geben. Weshalb sind unsere neuen Stadtteile fast alle trostlos?

Das Verantwortungsgefühl des Einzelnen gegenüber der Allgemeinheit ist verloren gegangen. An Stelle rhythmischer Gliederung gleich gearteter Wohnbauten, wie wir sie im alten Stadtbild bewundern, gebärdet sich mit baupolizeilicher Genehmigung jedes Haus mit besonderer Geste.

Für die Bauten der Allgemeinheit fehlt oft bei den Behörden die Erkenntnis, durch geeignete Platzwahl die Vorbedingungen für ein kompromissloses, freies Gestalten zu schaffen. Wenn die gesunden Voraussetzungen für eine organische Einordnung der Bauten fehlen, wie das heutzutage vielfach der Fall ist, so vermag keine noch so feinfühlige Durchbildung der Einzelheiten dieses Grundübel zu verbergen.

Beispiele solcher Art lassen sich leider in großer Zahl anführen: In Bern, wo die Museen mit der Landesbibliothek und dem Gymnasium in einen Block zusammengepfercht sind und wo der Rhythmus der Altstadtgassen durch den neuen maßstablosen Kasino- "Platz" beeinträchtigt wird.

In Basel, dessen großer Kunstmuseumsbau ohne jede städtebauliche Vorbereitung in seiner zufälligen Übereckstellung zur Brücke bedeutungslos verloren geht. In Zürich, dessen repräsentativer Empfangs- und Festraum, die Kongress- und Tonhalle sich gedrängt auf zufällig verfügbarem Restgelände in der Reihe minderwertiger Mietshausbauten verkriecht. "Baustil" zeigt sich nicht nur im Dekor der Fassade. Die Elemente einer Stadtplanung, die in gelockerter Form die Grenzen der gedrängten Altstadt sprengt, um kühn mit neuen Techniken verkehrstechnische und raumbildende Probleme großzügig bewältigen zu können, fordern einen formalen Ausdruck dieser Zeit.

Wenn der Architekt einzelnen Menschen, Familien oder ganzen Gemeinschaften Heimstätten schafft, so wird er diese von ihrem Lebensrhythmus aus entwickeln. Er schafft Einheiten, fügt diese zu einem Ganzen zusammen, er ordnet und gestaltet.

Das Kleinhaus wie der repräsentative städtische Großbau erhalten, ihrer Bedeutung entsprechend, die ihnen gebührende, stille, zurückgezogene Lage oder eine prominente, repräsentative Stellung.

Das tatsächliche Aussehen von Platz und Straße, die Kontrastwirkungen der Großbauten des Volksganzen gegenüber schlichter Unterordnung der Privatbauten, die Stadtsilhouette, der Außen- und Innenraum der Stadt, ihre Beziehung zur Landschaft sind stilbildende Elemente.

Mitverantwortlich für das Bild unserer Stadt- und Landbebauung ist der Bauherr, sind die Behörden, ist die Gesetzgebung.

Wenn es Zeiten gab, in denen ohne Baugesetze traditionsgebunden einheitlichere Stadt- und Dorfbilder entstanden sind, so ist in einer Zeit technischer Evolution, der eine kulturelle Entwicklung nicht gefolgt ist, ein Schutz der Allgemeinheit gegenüber willkürlicheren Sonderinteressen von großer Bedeutung.

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